Wer den Blog gelegentlich liest, der weiß wahrscheinlich schon, was mich an einer neuen Stadt am meisten fasziniert: die Streetart-Szene. Sie verrät mir viel davon, wie die Menschen dieser Stadt gerade ticken und was für ein Zeitgeist an einem Ort herrscht. Nach dem Motto „the street is our gallery“ bereichern die Künstler nicht-kommerziell und für jede*n zugänglich die Straßen ihrer Stadt.
Wie findet man Streetart?
Wenn ich mich auf Städtereisen vorbereite, recherchiere ich inzwischen vorab über die Streetart-Szene. Bei Valencia, wo ich meinen ersten Bildungsurlaub gemacht und Spanisch gelernt habe, bin ich im Vorfeld allerdings wenig fündig geworden, sodass ich an meinem ersten Tag dort etwas ratlos in die Touri-Info gehe, um mir einen ersten Anhaltspunkt zu holen. Denn den braucht man: einen ersten Startpunkt, an dem man ansetzen kann.
Meist verhält es sich dabei so, dass es die Altstadt / das historische Stadtzentrum gibt und dann das alternative Viertel mit Streetart. In London ist das z. B. der Fall. Nicht so in Valencia. Dort ist das Barrio del Carmen, das altstädtisches Herz der Stadt, gleichzeitig das Zentrum für Streetart, was eine wunderbare Kombination ist. Auch im Hipsterviertel Ruzafa gibt es noch ein paar Streetart-Stücke.
Die Frau von der Touri-Info runzelt die Stirn und kringelt ein paar Punkte auf dem Stadtplan ein, den sie uns mitgibt. Am ersten Kringel angekommen, wird schnell klar, dass sie Streetart mit Graffiti und bemalten Ladentoren verwechselt hat. Obwohl letztere zumindest nett aussehen, sind sie doch kommerzielle Auftragsarbeiten und widersprechen damit dem Grundgedanken von Streetart.
Die Straße als Galerie: sich treiben lassen
Die beste Methode, Streetart zu finden, ist, sich einen Ansatzpunkt, ein erstes Stück zu suchen und sich dann einfach durch die Straßen einer neuen Stadt treiben zu lassen, in kleine Seitengassen zu gehen, in Hinterhöfe und den kleinsten Anzeichen für Streetart zu folgen. Das funktioniert auch in Valencia.
Für einige Fotos schiebe ich Müllcontainer zur Seite. Auffallend oft liegt ein beißender Urin-Geruch in der Luft – am besten durch den Mund atmen, aber das ist in Städten ja ohnehin die Devise.
Streetart-Minis in Valencia
Die meisten Streetart-Stücke sind recht klein – vielleicht so groß wie eine Hand oder zwei – und gemalt oder gesprüht. Einige Motive begegnen mir immer wieder:
Diese kleine, einfache Figur gibt es in unterschiedlichen Varianten.
Streetart-Maxis in Valencia: Murals
Mural heißt so viel wie Gemälde oder Wandbild. Die meisten Streetart-Stücke sind Murals. Der Begriff wird häufig für großflächige Werke verwendet.
Paste-ups in Valencia
Später finde ich einige Paste-ups – wie auf dem Foto oben. Paste-ups sind, vereinfacht gesagt, bemalte oder bedruckte Papierbilder. Ich kannte sie früher auch als „Paperart„. Aber die sind in Valencia eher selten. Obwohl es in der Szene wohl durchaus üblich ist, anderen Künstlern die eigenen Paste-ups auf Reisen mitzugeben und kleben zu lassen. Styrocuts – Schnitte aus Styropor – sehe ich nur ein- oder zweimal.
Dieses Paste-up von Momia (?) stellt ebenfalls einen Teil einer Person dar. Der Ansatz ist aber eher abstrakter, künstlerischer, auch von der Farbgebung her.
Valencias Streetart-Künstler: Auswahl
Bei meinen stundenlangen Streifzügen durch die Altstadt von Valencia sind mir unzählige Streetart-Künstler begegnet. Die Straßen sind die reinste Galerie und ich bin den Werken oft gefolgt bis es dunkel wurde. Hier eine kleine Auswahl einiger Künstler, die mir besonders aufgefallen sind. Sie ist mitnichten vollständig.
David de Limón: Streetart-Roboter
David de Limóns (Künstlername) Serie von Streetart-Roboter-Figuren sieht man in Valencia an jeder Ecke. Nachdem ich ca. 60 dieser Figuren gezählt habe, gebe ich die Zählerei auf. Im Barrio del Carmen sind sie einfach überall. Eine Mischung aus Maschine und Mensch, undefinierenbaren Geschlechts, erinnert die Figur von der Silhouette her ein bisschen an R2D2 aus Star Wars. Vielleicht sollen es aber auch vermummte/verhüllte Menschen sein? Meist sieht man sie im Paar, eine/r mit Herz und einer, der/die anstelle des Herzens ein Komma und einen Doppelpunkt hat.
Der Künstler ist David de Limón, was natürlich nicht sein richtiger Name ist. Du kannst ihm aber auf Facebook folgen und sehen, was er gerade so treibt.
DEIH: finstere Zukunftsvisionen?
Der Künstler DEIH, den man an seinem markanten Tag – seiner Signatur – erkennt, ist ein Urgestein der valencianischen Streetart-Szene. Er arbeitet schon seit 20 Jahren an seinen düsteren, science-fiction-haften, vom Cyberpunk inspirierten Wandbildern (englisch: Murals). DEIH gehört den Streetart-Gruppen XFL, die sich 2003 gegründet hat und zu der auch Julieta gehört, und rbh an. Laut seiner Biographie auf Widewalls.ch mag er es, „to explore a universe of strangeness where rarity is appreciated.“ So scheint es auch, als würde er sich mit seinen Bildern ein eigenes, finsteres Universum erschaffen, in dem seine manchmal bis aufs Skelett abgemagerten Figuren leblos schwebend im All verloren gehen. Ich konnte einige seiner Serien ausmachen, wie z. B. „The Insider Series“ oder „Zombi Series“.
DEIH kannst du ebenfalls auf Facebook folgen.
Julieta.XLF: Blumenmädchen
In starkem Kontrast zu DEIH stehen die Arbeiten von Julieta.XLF. Sie ist eine 1982 in Valencia geborene Streetart-Künstlerin, die zur Gruppe XLF (Por la Face) gehört. Ihr Stil ist stark von japanischen Mangazeichnungen beeinflusst. Im Zentrum ihrer Arbeiten steht meist ein süßes Mädchen, manchmal umgeben von lautbunten Fabelwesen, oft mit Blumen, Blättern oder Regenbögen. Ihre Werke schmücken schonmal ganze Wände.
Auch Julieta.XLF kannst du auf Facebook folgen.
Rodrigo Romero Pérez: Skulpturen
Rodrigo Romero Pérez habe ich zufällig in Valencia getroffen, als ich mal wieder auf einem meiner Streetart-Streifzüge war und er dort gerade seine drei Skulpturen für das Kunstfestival „Intramus 2017“ aufstellte. Er kommt aus Madrid und ist dort hauptberuflich „Sculpture teacher“ an der Fakultät der Künste der Universität Madrid. An den drei Skulpturen hat er monatelang gearbeitet. Er bringt sie in rohem Zustand mit, stellt sie an „ihre“ Plätze in der Stadt und bemalt sie dann noch. Das Motto: urban Intervention.
Dann lässt er sie für 30 Tage dort, kommt wieder und schaut, was ihnen passiert ist. Sind sie zerstört oder verschwunden? Fehlt etwas oder wurde etwas hinzugefügt? Nach diesen 30 Tagen packt er sie wieder ein und nimmt sie mit, um sie z. B. weiter auszustellen.
Mehr über Rodrigo Romero Pérez kannst du auf seiner Website erfahren.
Disneylexya: knallbunte, mythologische Figuren
Ohne es zu wissen, habe ich Disneylexya bei der Arbeit gesehen, als er gerade die Wand eines ehemalige Tabakladens bemalte. Leider waren sein Englisch und mein Spanisch zu schlecht für eine Unterhaltung. Disneylexya produziert Murals und Paste-ups, allesamt in lauten Farben, manchmal auch schon kräftig im Hintergrund. Seine Motive sind mystisch-mythologisch – ich weiß nicht, wie ich es anders beschreiben soll, fast psychedelisch und mit einer Portion Surrealismus vielleicht? Naja, schaut sie euch am besten selbst an:
Mehr über Disneylexya kannst du auf seiner Website erfahren.
Julia Lools schwarze Katzen
Im „Barrio del Carmen“ (Barrio = Stadtviertel) und im Hipsterviertel Ruzafa begegnen mir überall die Streetart-Bilder (Paste-ups) von schwarzen Katzen. Das Motiv ist in der Regel ganz simpel: eine pechschwarze Katze in allen möglichen Ruhe- oder Bewegungspositionen. Manchmal findet man aber auch größere Bildkompositionen oder sieht die Katze zusammen mit anderen „alten Bekannten“ aus der valencianischen Streetart-Szene. Manche Exemplare – besonders in Ruzafa – wirken so frisch, als wären sie erst vor einer Stunde geklebt worden.
Julia Lool kannst du auf Facebook folgen.
Streetart in Valencia: nicht politisch?
Was mir auffällt: Im Vergleich zu Londons Streetart-Szene ist Valencias Streetart zumindest auf den ersten Blick nicht politisch. Während ich in London dutzende kritische Bilder von der Queen, Theresa May oder Donald Trump gesehen habe, fehlt dieser Aspekt in Valencia bisher ganz. Vielleicht übersehe ich ihn aber auch, weil mir die politischen Gesichter und Gepflogenheiten Spaniens nicht so vertraut sind?
Auch wenn ich noch stundenlang über Valencias Streetart schreiben könnte und es noch so viele Bilder zu zeigen gibt, mache ich an dieser Stelle mal Schluss, das soll schließlich kein Buch werden. Wenn du aber noch mehr über Streetart lesen willst, habe ich ein paar Tipps:
Streetart in London
Bei meinem letzten London-Besuch hatte ich mich auch schon auf die Suche nach Streetart gemacht. Im Beitrag „Endlich London: auf der Suche nach Streetart“ erfährst du, wie es mir dabei ergangen ist und wie die Streetart-Szene in London so aussieht. Dort war mir der chilenische Streetart-Künstler Otto Schade besonders aufgefallen, und so war ich froh, dass er mir ein Interview gegeben hat: Interview with Street Artist Otto Schade.
MEHR Valencia
Du möchtest mehr über Valencia lesen? Kein Problem, hier meine weiteren Artikel zur spanischen Trendstadt:
Und meine Tipps für einen Besuch in der Stadt:
Inzwischen scheint es auch eine „Street Art Valencia Alternative Free Walking Tour“ zu geben, täglich um 18 Uhr. Es gibt übrigens auch eine Alternative Free Walking Streetart Tour in Hamburg, immer samstags und sonntags. Wer viel Zeit hat, kann auch einen Streetart-Workshop machen.
Buchtipps für Streetart-Fans
Inzwischen habe ich auch schon ein paar tolle Bücher zum Thema Streetart. Hier meine Lieblinge (* Affiliate-Links):
→ Bildband Street Art: Kunst & Festivals weltweit (Lonely Planet Reisebildbände)*
→ Street Art: Legendäre Künstler und ihre Visionen*
→ Street Art Manual: Techniken, Taktiken, Tools*
Blogparade Streetart-Spots
Dieser Beitrag ist übrigens Teil der Blogparade „Die besten Spots für Streetart“ vom Reiseblog Gin des Lebens. Ines und Thomas sind wie ich große Streetart-Fans und gehen auf ihren Reisen gern auf die Suche. Vorbeischauen lohnt sich also.
[…] und Dominik zeigen auf ihrem Blog Weltreize in einem sehr umfangreichen Beitrag, dass auch Valencia sehr bunt sein […]
Wow, es ist toll mal einen Blog zu finden, der auch die Künstler vorstellt. Die Street Art in Valencia hat mich begeistert und ich werde jetzt einigen Künstlern auch online folgen. Danke für die Vorstellung!
Hallo Anna,
wenn ich die Namen / Identitäten der Künstler rauskriege, versuche ich sie immer auch zu nennen. In Valencia war das wirklich leicht, weil es so viel Streetart gab und man die aktivsten Künstler schnell (er-)kannte. Im Moment bin ich gerade in Sevilla – da ist es nicht so einfach.
Viele Grüße
Claudia
[…] zu bieten. Vor allem in Ruzafa sind wir fündig geworden. Claudia hat dazu auf ihrem Blog Weltreize einen sehr ausführlichen Beitrag verfasst, den wir leider erst im Nachhinein entdeckt […]
[…] Paste-ups und Murals sowie die Künstler hinter den Werken, stellt sie Euch in ihrem Artikel Streetart in Valencia: bunt, laut, mittendrin […]
[…] zu bieten. Vor allem in Ruzafa sind wir fündig geworden. Claudia hat dazu auf ihrem Blog Weltreize einen sehr ausführlichen Beitrag verfasst, den wir leider erst im Nachhinein entdeckt haben. Dort findest du jedenfalls sehr […]